Hinter den Kulissen der Museen Muttenz:
Während mehrerer Jahrzehnte hatte Ernst Kull am Wartenberg archäologische Grabungen betrieben und sie genauestens mit Lageplänen, Zeichnungen und Worten dokumentiert. Unter den vielen hundert jungsteinzeitlichen Werkzeugen, die er dabei eingesammelt hatte, fielen einige als aussergewöhnlich auf. Diese hatten ganz und gar ungewöhnliche Formen und waren aus Steinen geschaffen, die ihrer Struktur und Form nach als „nicht einheimisch“ bestimmt werden konnten.
Eine erste abenteuerliche Frage tauchte auf: Hatten etwa die Bewohner der Muttenzer Höhen vor rund 10'000 und mehr Jahren bereits Handelskontakte nach anderen weitentfernten Regionen? Wenn ja, so wäre das eine wissenschaftliche Sensation. Die bisher frühesten Belege für grossräumige Handelskontakte in unserer Region stammen aus einer Fundstelle in Liestal, vom Abhang des Schleifenberges. Dort wurden bei Ausgrabungen Keramikfragmente geborgen, welche mit Sicherheit Gefässen entsprechen, die vor rund 7'000 Jahren in einer Siedlung bei La Hoguette in der Normandie produziert worden waren. Form und Verzierungen, sowie die Magerung des Tons und die beim Brand entstandene Farbe sind absolut identisch. Der wichtigste Umstand dabei ist, dass die Fundlage dieser Scherben "in situ" – d.h. in den ungestörten Erdschichten an Ort und Stelle – noch vor dem Ausgraben genauestens dokumentiert wurde.
Archäologische Sensationen müssen jeglicher Kritik standhalten. Also wurden die "exotischen" Artefakte vom Wartenberg in einem geologischen Labor analysiert. Bei mehreren Klingen konnte ein sogenannter Wüstenschliff festgestellt werden. Diese von blossem Auge kaum sichtbare Struktur entsteht, wenn der Wind feinste Sandkörner über glatte Oberflächen treibt. Da es in Mitteleuropa seit der Steinzeit keine heissen Sandwüsten mehr gab, deutete dies zunächst nach Afrika. Die durchgeführten Steinanalysen ergaben dann tatsächlich Werte, welche keiner geologischen Formation in Mitteleuropa zugeordnet werden konnten.
Eine weitere, sehr speziell geformte weisse Pfeilspitze konnte mit Hilfe der Fachliteratur typologisch den Indianerkulturen Nordamerikas zugeordnet werden. Nach diesen Ergebnissen wurden beide Spuren aus Kostengründen nicht mehr weiterverfolgt. Nach heutigem Wissensstand können steinzeitliche Handelsbeziehungen zu anderen Kontinenten ausgeschlossen werden. Sollte sich das doch einmal ändern, stehen die Objekte ja für weitere Untersuchungen im Depot zur Verfügung.
Zwar sind Objekte aus entfernten Kontinenten und Kulturen in vielen Schausammlungen von Universitäten und Museen vorhanden; doch ist deren Herkunft durch einen detaillierten Nachweis festgehalten. So haben auch frühere Ausgräber in unserer Region schon Dokumentationen über ihre Fundstellen erstellt. Fehlt der Nachweis darüber, dass deren Funde tatsächlich aus „unberührtem“ Boden stammen, sind es keine authentischen Zeugen mehr aus längst vergangenen Zeiten. Es ist nämlich nie auszuschliessen, dass sich jemand einen Spass daraus gemacht hat, Souvenirs aus fernen Ländern im Boden zu vergraben, um Archäologen in die Irre zu führen. Doch mit dem heutigen Fachwissen und den Grabungsmethoden können solche Streiche sogleich erkannt werden.
Die „exotischen“ Fundstücke aus Muttenz verursachen also leider keine wissenschaftliche Sensation. Viel eher lassen sie sich so erklären, dass weitgereiste Muttenzer sie mitgebracht und dem damaligen Ausgräber als Vergleichsstücke und Ergänzung seiner Sammlung überlassen haben. So gelangten diese Objekte ohne nähere Angaben in die Schachteln mit den Funden vom Wartenberg – und hätten die Wissenschaft fast aufs Glatteis geführt.