Hinter den Kulissen der Museen Muttenz: Sammeln ohne Grenzen?
Für fast alle Geräte gibt es aber eine Vielzahl von Variationen. Nehmen wir als Beispiel aus der heutigen Zeit die Objektgattung "Auto". Wer entscheidet, welcher der vielen existierenden Fahrzeugtypen DAS Auto ist, das alle anderen repräsentieren kann? Ein Beispiel aus unseren Depots ist etwa der Kirschenentsteiner, früher ein typischer Gebrauchsgegenstand unserer Region. Erst wenn alle unsere Kirschenentsteiner nebeneinander liegen, zeigt sich, welch unterschiedliche Varianten da vorhanden sind. Welches Modell sollte nun das auserwählte sein? Auf welche Modelle könnte man verzichten? Ein anderes, noch variantenreicheres Beispiel ist die Wärmeflasche. Die gibt es aus Keramik, aus Kupfer, aus Messing, aus Aluminium, oval, eckig, flaschenförmig oder anatomisch geformt zum Umbinden, in ein „Fussschemeli“ eingelassen, mit einem gehäkelten oder gestrickten Beutel umgeben, geflickt oder verbeult. Wer entscheidet nun, welches dieser verschiedenen Modelle DIE Wärmeflasche und somit aufbewahrungswürdig sei?
Zu den handelsüblichen Gerätschaften kommen zusätzliche interessante Spezialanfertigungen. Diese wurden von Handwerkern aus der Praxis heraus selber entwickelt, wenn für einen Arbeitsgang nichts Passendes in der Werkstatt vorhanden war. Gerade die Marke „Eigenbau“ zeugt vom Einfallsreichtum und handwerklichem Können früherer Generationen, die mit einfachen Mitteln ein funktionelles Werkzeug anfertigen konnten. Diese Fähigkeit ist in unserer heutigen normierten Welt kaum mehr zu finden und allein aus diesem Grund schon dokumentationswürdig.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der, dass das Bauernhausmuseum seit seiner Eröffnung im Jahre 1984 ein "Museum zum Anfassen" ist. Grosse und kleine Besucher und Besucherinnen dürfen die Objekte in die Hand nehmen und deren Funktion selber ausprobieren - eben begreifen. Auch werden an unseren öffentlichen Arbeitstagen im Oktober jeweils originale Sammlungsobjekte für die Vorführungen eingesetzt. Bei solch einem Einsatz kann es durchaus passieren, dass ein Objekt aus „Altersschwäche“ zu Bruch geht. Nach den ethischen Richtlinien von ICOM und VMS (= internationaler und schweizerischer Museumsverband) wäre dies für ein Museum ja nicht vertretbar und somit wäre es geboten, solche Vorführungen nur mit Replikaten durchzuführen! Doch welcher Handwerker hätte heute noch die Fähigkeit diese bäuerlichen Gerätschaften überhaupt noch herzustellen? Von den Kosten für handgearbeitete Spezialanfertigungen gar nicht zu reden. Nur wenn das Museum von etlichen Gerätschaftstypen mehrere Exemplare besitzt, kann es die Vorführungen an den Arbeitstagen oder Workshops für Schulklassen weiterhin durchführen.
Würde man die Objektzahl auf ein absolutes Minimum beschränken, so müsste man auch alles perfekt konservieren und dann gesichert und klimatisiert hinter Glas ausstellen. Aber würden Vitrinen dem Ambiente unseres Bauernhauses gerecht? Die Museumsräume und -depots müssten auch alle zwingend technisch aufgerüstet werden. Sie müssten anstatt mit geschenkten lackierten und verleimten Holzschränken mit einbrennlackierten Metall-Regalen ausgestattet, materialspezifisch geheizt oder gekühlt, befeuchtet oder getrocknet, lumen- und luxreduziert beleuchtet werden usw. Damit wäre die jetzige AGM aber nicht mehr in der Lage, die Sammlungen selber zu betreuen. Das müssten dann spezialisierte Restaurator/innen oder ausgebildete Museumstechniker/innen übernehmen. Was kommt längerfristig wohl teurer zu stehen? Unsere heutige AGM im „Milizsystem“ und mehrfach vorhandene Objekttypen in wenig spezifizierten Depot- und Ausstellungsräumen oder gut ausgebildetes Fachpersonal und ein auf das Minimum reduzierter Objektbestand mit höchst differenzierten klimatischen Anforderungen?
Somit werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, hoffentlich auch weiterhin von unseren Platzproblemen lesen können. Denn sie sind eine Folge davon, dass die Einwohnerschaft den Muttenzer Museen grosse variantenreiche Sammlungsbestände anvertraut, auf welche alle stolz sein dürfen.